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Endometriose: Was ist das eigentlich?

Viele Frauen – und noch viel mehr Männer – haben noch nie von einer Krankheit namens Endometriose gehört. Dabei gilt sie als die zweithäufigste gynäkologische Erkrankung, die schwerwiegende Beschwerden von chronischen Schmerzen bis hin zur Unfruchtbarkeit mit sich bringen kann.

Melanie Vogt ist in der Gynäkologiepraxis Gynpoint als «Endometriosis Care Nurse» tätig. In dieser Funktion weiss Melanie ganz genau, wovon sie spricht: Sie leidet seit Jahren selbst an Endometriose und hat viele der typischen Stationen erlebt, die erkrankte Frauen bis zu einer Diagnose durchlaufen. Wir haben Melanie zum Interview getroffen.

Begriffserklärung

Endometriose ist eine gutartige, oft schmerzhafte Erkrankung, bei der ausserhalb der Gebärmutterhöhle, an anderen Stellen im Körper, Gewebe vorkommt, das der Gebärmutterschleimhaut gleicht. Genau wie diese verändert es sich während des Menstruationszyklus und kann Blutungen und Schmerzen verursachen. Ist die Gebärmuttermuskulatur davon betroffen, spricht man von Adenomyose. Die Ursachen für die Endometriose sind bisher noch nicht bekannt.


Aktuellen Schätzungen zufolge sind 7 bis 10% aller Frauen von Endometriose betroffen. Bei einer so häufig auftretenden Erkrankung müsste man annehmen, dass sie allgemein bekannt ist – was aber bei der Endometriose ganz offensichtlich nicht zutrifft. Weshalb?

Das liegt nicht nur, aber auch daran, dass die Endometriose einfach nicht diagnostiziert wird. Ich kenne Betroffene, die 20 Jahre leiden mussten, bevor sie – endlich – den Befund Endometriose erhielten. In solchen Fällen können sich ein extremer Befall und bleibende Folgeschäden entwickeln, gerade deswegen wäre es so wichtig, die Endometriose frühzeitig zu erkennen. Heilen kann man sie zwar nicht, aber man kann sie therapieren, und dabei gilt: je früher, desto besser.

 

Gibt es denn ein bestimmtes Alter, in dem Frauen besonders gefährdet sind?

Die Endometriose kann ab der ersten Monatsblutung auftreten, aber auch deutlich später. Häufig ist im Nachhinein nur noch schwer zu sagen, wann es wirklich damit angefangen hat. Gerade bei jüngeren Frauen neigen Ärzte bei den typischen Symptomen dazu, einfach einen Wechsel der Pille zu empfehlen, weil sie die Beschwerden darauf zurückführen. Ich kann dazu nur meine persönliche Erfahrung schildern: Ich habe meinem Gynäkologen früh von meinen Schmerzen berichtet, aber die Diagnose folgte erst mit 23. Oft wird die Endometriose auch entdeckt, wenn Frauen schwanger werden möchten und das nicht klappt. Sowohl der eigentliche Beginn der Erkrankung als auch die Diagnose sind also an kein bestimmtes Alter geknüpft.

 

Endometriose: das Chamäleon der Gynäkologie

Das erste Symptom, das im Zusammenhang mit Endometriose beinahe immer genannt wird, sind starke Schmerzen während der Monatsblutung. Welche weiteren Beschwerden sind charakteristisch?

Dies vorweg: Die Endometriose verursacht nicht nur während der Periode Schmerzen. Mit der Zeit können sich die Schmerzen chronifizieren und völlig unabhängig vom Zyklus auftreten. Gerade während der Periode kommen häufig Übelkeit, starke Blutungen, Schmerzen beim Geschlechtsverkehr, beim Wasserlösen oder dem Einführen von Tampons sowie Störungen beim Stuhlgang hinzu. Die Endometriose kann auch zu Unfruchtbarkeit führen. Es ist wichtig zu wissen, dass die Beschwerden nicht auf den Bereich des Beckens beschränkt bleiben müssen. Man nennt die Endometriose zurecht auch das «Chamäleon der Gynäkologie». Die Endometriose kann sich beispielsweise bis zum Zwerchfell ausbreiten. Und: Sie betrifft nicht nur menstruierende Frauen, auch Transgender können an Endometriose leiden.

Du hast vorhin bereits auf deine eigene Geschichte verwiesen, die man auch in deinem Blog nachlesen kann. Kommen derart schwere Verläufe oft vor oder sind sie doch eher die Ausnahme?

Die Frage ist schwierig zu beantworten. Ich kenne viele Frauen, die schwer betroffen sind, aber bei leichten Verläufen kommt längst nicht immer eine Diagnose zustande und man weiss gar nicht, dass es sich um Endometriose handelt. Mehr noch: Selbst Frauen mit extremen Beschwerden müssen häufig einen jahrelangen Leidensweg erdulden und gehen von Arzt zu Arzt, weil sie nicht ernst genommen werden. Die Probleme werden auf die Psyche geschoben und es kommt zu Folgeerkrankungen, die sich hätten verhindern lassen. Deswegen ist es mir auch so wichtig, aufzuklären und mehr Menschen für die Endometriose zu sensibilisieren. 

 

Du trägst an deiner aktuellen Arbeitsstelle den Titel «Endometriosis Care Nurse». Was kannst du in dieser Funktion für Patientinnen tun?

Vor allem spreche ich mit ihnen. Ich kläre sie über den Eingriff auf und versuche ihnen die Angst zu nehmen. Ich begleite sie vor, nach und manchmal sogar während der OP. Sie können sich jederzeit bei mir melden, wenn sie Fragen haben oder ein Rezept brauchen. Denn wenn man gerade akute Beschwerden hat, ist schnelle Hilfe absolut essenziell.

Du sprichst jetzt vor allem von einem operativen Eingriff. Welche Möglichkeiten gibt es denn insgesamt für betroffene Frauen?

Die Operation ist sozusagen der Goldstandard. Bei dem Eingriff geht es darum, das gebärmutterschleimhautähnliche Gewebe zu entfernen respektive erst einmal zu finden, wo es überall auftritt. Denn ein wirklich verlässliche Diagnose gibt es erst, wenn man Gewebeproben nimmt. Daraus können dann auch weitere Therapiepläne entstehen. Leider sind wir damit noch nicht wirklich weit gekommen. Oft schlagen Ärzte eine Gestagen-Pille vor, doch die möchten viele Frauen wegen der Nebenwirkungen nicht nehmen. Es klingt hart, aber nach meiner Erfahrung muss man abwägen: Nehme ich lieber die Nebenwirkungen der Pille in Kauf oder lebe ich damit, wegen der Beschwerden vielleicht wieder operiert werden zu müssen? Davon abgesehen spielt Physiotherapie eine wichtige Rolle: Wegen all der Schmerzen ist der Beckenboden meist stark verspannt, entsprechend sollte man daran arbeiten, ihn wieder zu entspannen. Alternativ kann auch Akupunktur helfen. Aber natürlich ist das immer fallabhängig und muss individuell betrachtet werden.

 

«Mein Rat: Lasst euch nie abwimmeln!»

Würdest du auch psychologische Hilfe empfehlen? 

Definitiv. Viele Frauen leiden ja nicht nur körperlich, die Folgen der Endometriose belasten sie auch seelisch und wirken sich negativ auf die Beziehung aus. Um damit klar zu kommen, ist oft Unterstützung notwendig. Frauen, die an Endometriose leiden, wird oft gesagt, dass ihre Schmerzen in Wirklichkeit psychische Ursachen hätten. Dabei ist es genau umgekehrt: Die Endometriose verursacht erst die psychischen Beschwerden. Ich habe mittlerweile eine Gynopsychiaterin gefunden, die genau auf diesen Fachbereich spezialisiert ist. 

 

Gibt es etwas, womit du Leidensgenossinnen gerne mit auf den Weg geben würdest?

Ich habe gerade eine neue, recht unerfreuliche Diagnose erhalten und werde künftig grosse Einschränkungen hinnehmen müssen. Dazu ist es nur gekommen, weil ich nicht ernst genommen wurde und meine Endometriose bagatellisiert wurde. Das bestärkt mich nur nochmals in der Botschaft an alle Betroffenen: Gebt nicht auf, bleibt dran und lasst euch nie «abwimmeln». Holt euch im Zweifel eine zweite und auch eine dritte Meinung ein. Sucht euch Hilfe in eurem Umfeld, oder schaut in meiner Facebook-Gruppe vorbei, wenn ihr möchtet.

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